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  26.06.2006 - Über das Rentiertraining und den ersten Versuch

Hej,
lange Zeit habt ihr keine Neuigkeiten von Mygga., Lumi (Ren 1), Batje (Ren 2) und mir gehört. Unterschiedliche Ereignisse während der letzten Wochen haben es mir unmöglich gemacht voraus zu sagen, wann und wie und ob wir überhaupt noch aufbrechen an die norwegische Küste.
Zunächst einmal war ich ja während des Winters damit beschäftigt, die beiden Rentiere zu trainieren. Schon nach kurzer Zeit stellte sich heraus, dass die beiden Rens sich vom Wesen her stark voneinander unterscheiden. Während der anfangs extrem scheue Lumi recht bald „auftaute“ und immer zutraulicher wurde, stellte sich der zu Beginn recht ruhig wirkende Batje als sehr schreckhaft heraus. Mit Lumi konnte ich die einzelnen Trainingsstufen zum Erlernen des Schlittenziehens ohne große Probleme recht zügig durchlaufen ( Ren daran gewöhnen, dass jemand hinter ihm läuft, Ren an die Deichseln gewöhnen, Ren an den Schlitten gewöhnen etc.). Anfang März war es dann Zeit für die „Generalprobe“. Ich wollte sehen, ob es möglich ist, am Rentier vorbeizugehen, mich auf den Schlitten zu setzen und auf Kommando los zufahren. Der erste Versuch, den ich hier auf dem Grundstück durchführte, scheiterte leider ziemlich – was unter anderem daran lag, dass ich nicht wusste, wo die Bremse ist. Es ist einem glücklichen Zufall zu verdanken, dass das Gästehaus noch steht. ......mehr habe ich dazu nicht zu sagen ;-)
Nicht ohne Grund also gab mir Dirk einige Tage später den Rat, ich solle doch „runter zum Scooter-Highway gehen“ und das dort üben. Dazu muss ich erwähnen, dass hier oben wirklich fast jeder mit dem Scooter rumschüsselt, sobald der erste vernünftige Schnee liegt. Dazu wird eine zig kilometerlange Strecke von einer Art „kleinen Pistenraupe“ derart präpariert, dass die Menschen hier die Möglichkeit haben, relativ zügig mit ihrem Scooter von einer Stadt in die nächste zu kommen – oder besser vom einen Dorf ins nächste.
Genau zu dieser Scooterspur, die sich direkt hier in der Nähe in einer breiten Ebene entlangschlängelt, machte ich mich also zusammen mit Lumi auf. Es war ein Erlebnis, das ich nie vergessen werde. Für ein Rentier als „Fluchttier“ ist es eher unangenehm, wenn sich etwas hinter seinem Rücken tut, es sich aber gleichzeitig nicht wirklich umdrehen kann. Das erste was also passiert, als ich langsam an ihm vorbei gehe und hinter ihn treten will : er gibt Vollgas. Ich schaffe es gerade noch, mich mit einem Sprung auf den Schlitten zu werfen und ab geht die Post – oder besser : die Eil-Post. Da sich neben der Spur meterhoher Tiefschnee befindet, bleibt er automatisch auf dem Trail und läuft und läuft und läuft .....! Irgendwann schaffe ich es, den Schlitten abzubremsen und eine Pause einzulegen. Lumi bekommt saftige Flechten aus Finnland.
Nachdem ich dieses Manöver mehrere Male durchgeführt habe, scheint er zu merken, dass nichts schlimmes passiert, wenn ich hinter ihn trete und auf den Schlitten steige. Er bleibt stehen, bis ich das Kommando zum Laufen gebe. (...nur beim Anhalten sind wir uns noch nicht ganz einig!).
Bei Batje hingegen dauern die einzelnen Trainingsphasen wesentlich länger. Wenn eine Sache allerdings erst einmal „sitzt“, dann ist er sehr zuverlässig. Ich scheitere letztlich bei dem Versuch, ihm den Schlitten anzuhängen. Das ist definitiv mein Fehler. Ich habe zu früh damit angefangen, habe ihm nicht genug Zeit gegeben, sich an den Schlitten und an die Geräusche, die die Kufen im Schnee machen zu gewöhnen. Ich fange also wieder von vorne an, aber ich merke, dass er sich sobald ich mit dem Schlitten ankomme verspannt. Was tun ?
Einige Wochen später, als ich Versuche, die beiden an die Packtaschen zu gewöhnen, beschließe ich dann, nur Lumi mitzunehmen. Wieder mache ich den Fehler und gehe bei Batje zu schnell vor – kaum hat er die Packtaschen an, rennt und springt er solange herum, bis er die Packtaschen samt Tragegestell abgeworfen hat. Auch wenn ich mit ihm an der Leine draußen spazieren gehe und etwas passiert, dass er nicht kennt oder einordnen kann, reagiert
er ähnlich. Mir ist das Risiko einfach zu groß, sehr scheuen und gleichzeitig extrem kräftigen Rentier loszuwandern.
Ab jetzt konzentriere ich mich also komplett auf Lumi. Parallel zum Schlittentraining habe ich mit beiden bereits geübt, mit mir UND Mygga spazieren zu gehen. Das funktioniert auch sehr gut. Bis auf die Tatsache, das Mygga sich ständig umdreht, um mit den Rentieren zu „spielen“ (sie hopst und springt und jault und so weiter). Doch auch das hat sich mittlerweile gelegt.
Vor ca. einem Monat fängt Mygga an zu humpeln. Die Diagnose : Infraspinatus fibrosis. Eine Verkürzung eines Schultermuskels hervorgerufen durch chronische Entzündung. Das einzige, das laut Tierarzt hilft : ein Operation; die Wanderung : ausgeschlossen, nicht in diesem Zustand. .....Oje, was jetzt ??
Ich besorge mir also einen OP-Termin (nachdem ich mich mit mehreren Tierärzten in Schweden und Deutschland über die Notwendigkeit unterhalten habe). Ich beschließe, direkt nach der OP nach Irland zu reisen, um zunächst die „Boot-Etappe“ durchzuführen. Hier kann Mygga sich von der OP erholen – sie muss ja nicht viel laufen. Dann im September will ich wieder nach Lappland kommen und die Rentier-Tour machen. Ich schmeiße also meine Pläne über den Haufen und beginne mich auf den Irland-Trip vorzubereiten.
Drei Tage vor der OP hört Mygga auf einmal auf zu humpeln. Kommentar vom Tierarzt : „wenn sie nicht humpelt, müssen wir auch nicht operieren......“. Okay, also wie jetzt.....?
Mittlerweile bin ich fest entschlossen, zunächst wie geplant an die norwegische Küste zu wandern. Mit Lumi und mit Mygga. Die Sachen sind gepackt, der Wagen ist vollgetankt und der Rentieranhänger ist angekoppelt. Es geht zunächst erst einmal mit dem Auto Richtung Gebirge. Die Tour zu dieser Zeit weiter unten zu starten wäre Wahnsinn. Die Mückenzeit hat begonnen und Rentiere lassen sich von diesen kleinen Plagegeistern gerne irritieren. Ich übrigens auch. Wir werden über Kvikkjokk, Sulitjelma, Lohnsdalen bis nach Glomfjord wandern. Ich hoffe, die Tour in 1,5 bis 2 Monaten zu schaffen. Entlang der Route habe ich bereits Depots angelegt mit Rentier-, Hunde- und Menschenfutter. Ob wir es schaffen weiß ich nicht da es viele Flüsse zu überqueren gilt, die teilweise mit Brücken überspannt sind. Ob ich den Lumi da rüber bekomme, wird sich erst vor Ort herausstellen. Ich bin auf jeden Fall sehr gespannt, was uns dort oben erwartet.
Ich möchte mich an dieser Stelle bei all den zahleichen Menschen bedanken, die mir direkt oder indirekt beim Rentiertraining geholfen haben und ohne die es wahrscheinlich gar nicht möglich wäre, jetzt los zu wandern.
Besonderer Dank gilt Silke und Dirk, die mich trotz meines zugegebenermaßen ungewöhnlichen Vorhabens vorbehaltlos hier aufgenommen haben, mit denen ich eine wunderbare Zeit verbringen durfte und die mir ein Stück Heimat geschenkt haben (klingt irgendwie schleimig, ist aber nun mal so....) !
........tja, diese Mail wollte ich euch am Montag den 19.06. schicken, der Tag, an dem wir aufgebrochen sind. Aber aus irgend einem Grund war es mir nicht möglich, die Mail abzuschicken – keine Ahnung warum. Ich hab`s eine Stunde lang versucht – no way, und vielleicht war es auch ganz gut so. Wir sind nämlich schon wieder hier, auf Solberget – mussten die Wanderung abbrechen.
Weder Ausrüstungsprobleme, Wetter, noch gesundheitliche Probleme zwangen uns zur Rückkehr, sondern ? – genau, die Mücken.
Der sehr steile ca. 2 km lange Aufstieg auf das ungefähr 800-900 Meter hoch gelegene Hochplateau führte uns zunächst durch lose bewaldetes, sumpfiges Terrain. Trotz der zahlreichen Mücken kamen wir recht gut voran – immer mit der Aussicht darauf, dass wir die Mücken über der Baumgrenze (die hier in Skandinavien bei rund 800 Metern liegt) hinter uns lassen würden. Oben angekommen entschied ich mich dafür, direkt das erste „Camp“ zu errichten, da sowohl die Tiere als auch ich von der recht langen Autofahrt und der gesamten Vorbereitung ziemlich mitgenommen waren. Kurz nachdem ich mein Zelt aufgebaut hatte fing es an zu stürmen und zu gewittern – logischerweise keine Mücken in Sicht. Wir schliefen uns also erst einmal richtig aus und brachen am nächsten Tag auf zur ersten ca. 10 km langen Wanderung.
Bis zum Nachmittag vertrieben die „Nachwehen“ des Sturmes vom Vortag jeden Gedanken an Mücken. Dann jedoch setzte recht schlagartig eine „Flaute“ ein und die Sonne kam hinter den Wolken hervor. Als ich Lumi an einen Stein festmachte um eine kurze Pause einzulegen dauerte es nur einige Minuten und wir standen in einer schwarzen Wolke aus sirrenden, blutdurstigen, flugfähigen Rüsseltieren.
Lumi versuchte wegzurennen, was natürlich nicht möglich war, da ich ihn ja festgebunden hatte. Ich dachte mir, dass es wohl auf jeden Fall besser sei, weiterzugehen, eventuell auf einen der nächsten Gipfel, die ungefähr 1100 Meter hoch sind. Doch so weit kam ich gar nicht. Stark irritiert durch die Mücken, versuchte Lumi zu laufen. Da eine Grundregel beim Führen eines Rentieres darin besteht, immer vor dem Rentier zu gehen, musste ich also gegen halten um das Rentier hinter mir zu halten. Schon nach ein paar hundert Metern war ich völlig außer Atem – die Gipfel zu erreichen war unmöglich. In der Ferne sah ich einen kleinen See. „Das ist die Rettung“, dachte ich und hielt direkt darauf zu. Am See angekommen, riss ich mir die Sachen vom Leib, nahm Lumi und Mygga die Packtaschen ab und dann ging`s ab ins kühle Nass. Solange wir da im Wasser herumplanschten, war die Mückenplage erträglich, doch bald merkte ich, dass mir die Kälte des Wassers in die Glieder kroch. Wir mussten das „sichere“ Wasser trotz allem verlassen. Ich machte Lumi direkt am See fest und probierte ein möglichst qualmendes Feuer zu entfachen. Das ist ein Trick der Samen, die durch den Qualm die Mücken vertreiben. Leider eignete sich die Vegetation vor Ort nicht wirklich dazu, ein „mückenfressendes Inferno“ zu entflammen und so blieb die erhoffte Wirkung leider aus. Mygga versuchte sich in einen der spärlichen, flachen Büsche einzugraben, um den Mücken zu entgehen. Und obwohl nur noch ihre Ohren aus dem Busch hervorlugten war sie von oben bis unten mir Mücken bedeckt – das war kein schönes Bild.
Ich wusste nicht mehr so recht, was ich tun sollte und entschloss mich dazu, das Zelt aufzubauen, dessen Mückennetz zu mindestens Mygga und mir Schutz vor den Blutsaugern liefern würde.
Als das Zelt aufgebaut und alle Sachen verstaut waren, konnte ich lange Zeit nicht einschlafen, da ich hörte, wie Lumi draußen im Kreis herumrannte, um den Stichen zu entgehen. Ich dachte über Alternativen nach wie z.B. in höhere Lagen zu wandern, in der Hoffnung, die Mücken würden uns nicht folgen können. Aber einzig die Gipfel liegen hoch genug (zu mindestens auf meiner Route) und von jedem Gipfel muss man irgendwann wieder runter – durch ein (Mücken-)Tal zum nächsten Gipfel. Auch nachts zu wandern wäre keine Lösung gewesen, da Mücken einerseits auch Nachts ihr Unwesen treiben und ich andererseits ja tagsüber dann rasten müsste – die Mücken wären allzeit ein Problem. Da ich auf der von mir geplanten Route noch durch zwei sehr große Täler wandern müsste, die beide fast auf Meereshöhe liegen, kam ich recht schnell zu dem Entschluss abzubrechen. Alles andere wäre Tierquälerei. Ich sendete also einen „Hilferuf“ nach Solberget und schon 1,5 Tage später wurde ich vom Helfer Alex abgeholt (...wie gesagt, du hast was gut!)
Abgesehen von den Mücken war es toll. Die Ausrüstung funktionierte, die Tiere machten gut mit und die Landschaft ist einfach atemberaubend. Um den Mücken etwas zu entgehen, ging ich auf dem Rückweg während der recht kalten Nacht. Das ist zu dieser Jahreszeit ja kein Problem, da die Sonne nicht untergeht. Zum Glück hatte ich kräftigen Gegenwind. Es war beeindruckend. Wenn ich jetzt im Nachhinein darüber nachdenke, ärgere ich mich ein wenig, dass ich abgebrochen habe. Aber ich glaube es war die richtige Entscheidung. Die richtige „Mückenhochzeit“ kommt ja erst noch und mit ihr die Bremsen. Eine Bremse in der Nähe eines Rentieres kann soviel „ausrichten“ wie mehrere hundert Mücken !!!
Ich plane nun einen zweiten Versuch im Herbst zu starten, wenn der erste Frost den „Biestern“ hoffentlich schon zu Leibe gerückt ist. Wahrscheinlich beginne ich in Norwegen und gehe die geplante Strecke einfach andersrum, denn in Norwegen kann ich hoffentlich schon gegen Mitte August loswandern. Das wäre hier in Schweden aufgrund der Mücken noch nicht möglich.
Das heißt aber auch, dass ich meine Trips durch Schottland und Irland auf das nächste Frühjahr verschieben muss, da Winterwandern ob im Gebirge oder im Boot auf dem Wasser eher nicht so mein Fall ist. Ich werde mir also erneut eine Station zum Überwintern suchen müssen und bin darüber hinaus darauf angewiesen, irgendwie Geld zu verdienen, da ich langsam recht tief in meinen „Reisesparstrumpf“ greifen muss, um etwas zu finden ;-)
Genaue Pläne gibt es noch nicht, aber sobald ich mehr weiß, lasse ich es euch wissen. Auf jeden Fall werde ich euch schreiben, wenn ich den zweiten und hoffentlich erfolgreicheren Versuch unternommen habe, mit Rentier und Hund durch das skandinavische Gebirge zu wandern.
Ich hoffe es geht euch allen gut und sende euch beste Grüße
Micha
 
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